Bericht über seinen Alterssitz in Kanada

Fritz Grasshoff in Kanada in Hudson

1983 bis zu seinem Tode am 9. Februar 1997

Das erste Problem erreichte Fritz Grasshoff gleich bei der Einwanderungsbehörde, er hatte zwar ein gutes regelmäßiges Grundeinkommen durch die Lizenzabgaben von der GEMA , auch entsprachen seine Besitz- und Einkommensverhältnisse den gewünschten Bedingungen, aber er sprach weder die französische Sprache, was in der Provinz Montreal – Quebec Voraussetzung war, noch ein flüssiges Englisch. In dem persönlichen Gespräch mit dem an Kultur offensichtlich interessierten Einwanderungsbeamten konnte er jedoch mit seinem literarischen und auch dem malerischen Werk überzeugen. Seine Doppelbegabung als Schriftsteller oder Poet und zugleich als Maler, Graphiker und Illustrator öffnete ihm das Tor nach Kanada.

 

Die ersten Wochen verbrachte die Familie Grasshoff bei Verwandten in Senneville in der Provinz Quebec. Von dort kamen die Wunschzettel, was noch in Zwingenberg mit Behörden und Verbänden zu erledigen und regeln sei. Der erste kanadische Brief, der die Adresse aus Hudson trägt, hat den Poststempel vom  23. Juli 1983. Jetzt waren die Container mit Möbeln, Hausrat, der Bibliothek, den Manuskriptentwürfen, Graphik- und Zeichnungsmappen und Gemälden bei dem wunderschönen Grundstück in der Main Road an der Lake Side in Hudson am Ottawa River angekommen und wurden in das Haus und in der großen Garage verstaut, denn diese sollte Fritz Atelier werden. Ich betone die Lake Side, weil es tatsächlich in der Gesellschaft in Kanada eine große Rolle spielt, wenn man an der See- oder Flussseite Anlieger ist. Die Zeit in Senneville war sehr wertvoll für Roger Grasshoff, denn er hat dort seine künftige Frau Katja getroffen und lieben gelernt, eine wohl für beide Seiten ideale Verbindung.

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Hudson liegt auf dem Längengrad von Venedig, im Winter herrschen dort zwar eisige Zeiten und der Ottawa River ist bis zu einer Eisdecke von zwei Metern Dicke zugefroren. Im Frühling, hier meist ab Anfang Mai, bricht die Natur dann aber sehr schnell auf, und im Sommer sind unzählige Schmetterlinge und Vögel im Garten unterwegs, besonders schön ist es, die Kolibris zu beobachten, die mit ihrem wahnsinnig schnellen Flügelschlag vor den Blüten zu stehen scheinen und den Nektar mit ihren langen Schnäbeln aussaugen. Diese mediterranen Impressionen und das warme Sonnenlicht waren eine Freude für Fritz und die Farben seiner Bilder, die er im Sommer gemalt hat, schienen ebenfalls zu glühen oder sie traten in Konkurrenz mit der Blütenpracht, die Roswitha in ihrem Blumengarten entfachte. Natürlich liebte er auch die rostroten und ockerfarbenen warmen Töne des „Indian Summer“ im September und Oktober, wenn die unzähligen Ahornbäume ein rotglühendes Lichtermeer erzeugen. Fritz hatte in diesen Sommer- und Herbstmonaten eine unbändige Schaffenskraft, die sich in vielen leuchtenden und „Geschichten erzählenden“ Gemälden dokumentierte. Umso mehr hasste er aber den Winter, wenn Landschaft und Wege unter eine hohen Schneedecke verborgen blieben, wenn der Ottawa River mit einer dicken Eisschicht wie in einem Totenbett lag, wenn die Wölfe auf dem Eis aus den Indianerreservaten jenseits des Flusses bis in den Garten kamen. Da die Fähren dann nicht mehr den Fluss kreuzen konnten, wurden Wege über das Eis markiert und die PKW´s rasten wie selbstverständlich über den Fluss, und ab 60 cm Eisdecke konnten sogar die Lastwagen den mehrere hundert Meter breiten Fluss passieren. Nur wenige Löcher wurden dann in die Eisdecke geschlagen um dem kanadischen Volkssport, das Eislochangeln, frönen zu können. Dann sitzen die Kanadier stundenlang in ihren zweirädrigen Karren bei heißem Tee und starkem Whisky um die Eislöcher herum und versuchen die Leckerbissen unter dem Eise an die Angel zu bekommen. Das war wahrlich nicht die Lieblingszeit für Fritz, höchstens der Zug der Wildgänse konnten seine Augen erfreuen, oder wenn die Temperaturen mal so erträglich waren, dass er im Green House neben der Terrasse Frühstücken konnten und einige Krumen an die im Winter verbliebenen Vögel verteilte.

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Juli 1984                                                                                  Juli 1986

Das Haus war ein großer, für kanadische Verhältnisse typischer, Bungalow in Rahmenbauweise mit den Hölzermaßen three by four (natürlich in Zoll). Alle Bungalows sehen wie kleine Paläste aus, wenn man jedoch eine Kettensäge zur Hand hat, sind sie nicht mehr einbruchsicher, denn innen und außen bedecken Spanplatten die Konstruktion, die anschließend verputzt werden. Immerhin hatte das Haus eine volle Unterkellerung, die später, wie wir hören werden, sehr wichtig wurde. Großzügig war jedoch die Raumaufteilung mit drei Schlafzimmern, zwei Bädern, einer Bibliothek, großer Küche mit Speisekammer und einem riesigen Wohnzimmer mit Kamin. Als Atelier zum Malen, Zeichnen und Drucken nutzte Fritz die angebaute und mit dem Bungalow mit einem direkten Durchgang verbundene Garage.

Dieses Haus stand allen Freunden der Grasshoffs offen und Roswitha war eine großzügige Gastgeberin, die alle Freunde auch noch mit deren Lieblingsgerichten und gewünschten Dessertspeisen verwöhnte. Den besten Freunden räumten sie sogar noch ihr Schlafzimmer. Es kamen aber nicht nur die Freunde aus der Bergsträsser Zeit, sondern auch viele Journalisten bzw. Schriftsteller aus Deutschland, die Grasshoff in seiner neuen Heimat besuchten, wie Wolfgang  Gies oder Eva Dembski. Neue Freunde aus Kanada mussten Deutsch sprechen können, also waren sie weit verstreut in der Provinz Quebec und nicht selten kamen da 300 bis 400 km für einen Besuch an Fahrstrecke zusammen. Glücklicher Weise hatten die Besuche zu dem Journalisten Bopp einen kurzen Weg, denn Herbert Bopp hatte sich mit seiner Familie als Kanadakorrespondent ebenfalls in Hudson niedergelassen.

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Fritz in seinem Bungalow im April 1984

Fritz war mindestens sechs bis acht Stunden, manches Mal den ganzen Tag über, im Atelier und malte wie in einem Rausch, es entstanden unzählige groß- und mittelformatige Bilder in Öl, die eigentlich nicht nur als Bild brillierten, sondern zugleich eine Kurzgeschichte erzählten. Eine landschaftliche Impression aus dem kanadischen Leben, den riesigen Rinderherden und Weizenspeichern, für Fritz die „Cathedral de Blé“. Oder sie zeigten Szenen und Episoden aus Hafenkneipen, das Machtgerangel zwischen Mann und Frau, die Geschichten aus dem Tingeltangel und das Ende der Lulu aus dem Roman Wedekind; Sie illustrierten aber auch Sternstunden der Geschichte und politische Revolutionen.

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Juli 1984 beim Anlegen eines neuen Gemäldes  und neben „Adam & Eva“

Zwei Dinge hatten alle Gemälde gemeinsam: erstens waren alle Motive in dicken schwarzen Linien umschlossen, und zweitens wurden alle Flächen in vielen überlagerten Farbschichten lasurartig ausgemalt, ja teilweise direkt mit unzähligen, einzelnen und nebeneinander-gesetzten, Farbtönen ausgeformt.

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Fritz im Juli 1986 vor seiner Staffelei

Als Signet seiner kanadischen Werke hatte sich Fritz ein stilisiertes Ahornblatt gewählt. Wie oben schon erwähnt, entsprachen die Farbgebungen der Bilder den Jahreszeiten, in denen sie gemalt wurden. Wenn ich mal ein Jahr nicht bei Fritz in Kanada war, konnte ich seine Bilder an Hand der Farbgebung auf den Monat bestimmen, in dem diese entstanden waren. Er schuf aber auch viele expressive Zeichnungen aus dem kanadischen Alltag, Impressionen oder schnelle Situationsbeschreibungen in den Städten und auf den Farmen, gemalt mit einem breiten Borstenpinsel. Die Figuren scheinen nicht gemalt, sondern direkt aus dem Kopf mit Hilfe des Borstenpinsels und schwarzer Tusche auf das Papier gedrückt. Zu grobe schwarze Flächen wurden dann noch mit Hilfe einer Rasierklinge wieder aufgerissen bzw. mit einer Struktur versehen, als wenn er mit einem Radier-Radel die Flächen zu neuem Leben erweckte. In diesem Duktus entstand auch eine Reihe von Serigraphien, die von der Edition KARO Enterprises Canada, der Firma von Katja und Roger Grasshoff 1987 in zwei Ausgaben mit je 12 Blättern im Format 33 x 51 cm in einer Auflage von 100 Exemplaren herausgegeben wurden. Ein Jahr davor hatte KARO Enterprises bereits eine Auswahl der von Grasshoff in den Jahren 1984 bis 1986 geschaffenen Ölbilder in einer 20 x 14,5 cm großen Werkdokumentation  mit einem Begleittext in deutscher, englischer und französischer Sprache präsentiert.

Es heißt dort im Begleittext:
Was Grasshoff anzubieten hat, wurzelt im Uralten. Er tut, was der Embryo im Mutterleib, das Kind auf der Schiefertafel tut (tat), er arbeitet sich und seine Bilder aus dem Dunklen ins Helle. Ins Bewusstsein. Er malt auf schwarzen Gründen,

Die schwarze Umrandung seiner Figuren mag an die Cloissonnisten (Gauguin, Bernard) erinnern, an Glasfenster. (Wenn schon sagt er, unsere Möglichkeiten sind begrenzt.) Er meint es anders: Die in Schwarz, den leeren Raum, den Background seiner Mitteilungen gebetteten Gestalten sollen zeigen das Ephemerische unseres Tuns, sie sollen uns unseren Standort weisen helfen. (So ist er denn neben dem „Farbsetzer“ auch eine Art Moralitätenmaler.) Nichtperspektivisch, Versatzstücken, Bühnenkulissen gleich, hineingestellt in die Zeitlosigkeit der schwarzen Tiefe, suggerieren sie Zärtlichkeit, wodurch er die vierte Dimension ins Bild zu rücken glaubt. ( ein Vehikel, das zu besteigen er den Passanten anheim stellt.)

Von Alten Meistern sind ihm die nächsten: die Ikonen- und Perikopenmaler, die Byzantiner, die romanischen Teppichstickerinnen, die persischen Miniaturenmaler, Giotto, Mantegna, Rembrandt, Peter Bruegel; von den Späteren und Zeitgenossen: Gauguin, Klimt, Gromaire, Paula Moderson-Becker, Beckmann, Carra, Ben Shahn, um nur diese zu nennen; von den Farben die liebsten: Schwarz, Rosa, Ultramarin, Violett, Zimtorange, Viridian und Caput mortuum.

Und dies zum Technischen. Er malt allermeist auf Holzplatten und mit biegsamen Klingen; sie erzeugen einen erwünscht kantig-harten, spitzig-strichigen Farbauftrag. Zugleich dient ihm das Stück Stahl als Schab-, Ritz- und Kratzwerkzeug. Gern setzt er Farben in kleinen Partikeln aneinander und gibt ihnen den Duktus des Fließenden.

1993 erschien dann noch einmal in Kanada in der Éditions Vaudreuil [Canada] Graphik − Graphic − Graphique. 1943-1993. Ein Querschnitt.

Einen Spaß machte sich Fritz daraus, Bilder aus regionalen Zeitungen, die den kanadischen Alltag dokumentierten, auf eine starke Pappe zu kleben, alles mit Ölfarben zu übermalen und die Personen dabei zu karikieren, so entstanden wunderbar witzige Miniaturen des kanadischen Lebens, wie die hier abgebildete aus einem Chorwettbewerb.

Es entstanden aber auch unzählige Miniaturen, Fritz nannte sie “ meine Gemäldesammlung im Schuhkarton“.

Karikatur Canada 83   Miniatur Sitzende 1984 Druck

Weiterhin entstanden viele Illustrationen für seine Gedichte und Fabeln. Ein neues Sujet fand Fritz in dem Indianerreservat jenseits des Ottawa Rivers, nur eine zwanzigminütige Fährverbindung entfernt. Bei seinen Besuchen dort skizzierte er öfter die markanten Gesichter dieser Bewohner und verewigte sie in seinen Zeichnungen und Karikaturen.

Seine 16 Tuschezeichnungen „Stadtgeflecht“ von 1988 wurden 2008 anlässlich seines 95. Geburtstages in einer Auflage von 30 Stück im Offsetverfahren als Einzelblätter gedruckt und in einer Klemmmappe präsentiert.

Das Fritz als Maler nicht zu einem Durchbruch kam, lag nicht etwa an der Qualität seiner Bilder, sondern an seiner Gabe auch in unpassenden Momenten nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg halten zu können. Als ein Freund uns einen Besuch bei der größten Galeristin Kanadas ermöglichte, die offensichtlich in mehreren Provinzen die größten Ausstellungsräume besaß, geschah das Unglück, dass diese Dame ganz stolz Fritz ihre eigenen Malversuche zeigen wollte. Sie erhielt von Fritz in meinem Beisein eine derart harsche, derbe und verletzende, wenn auch richtige Einschätzung, ihrer Kunstversuche, dass Fritz nie wieder etwas von Ihr gehört hat. So beendete er wieder einmal eine Freundschaft noch bevor sie begonnen hatte.

Bei meinen vielen Flügen zu ihm nach Hudson habe ich dann dreimal nicht nur die bestellten Ölfarben, Mastik und Rasierklingen zum Malen eingepackt, sondern auch meine Studiokameraausrüstung samt Blitzlichtern und seine gesamten bis dahin entstandenen Werke, sowohl die Gemälde als auch seine Zeichnungen und einige Graphiken, sofern ich diese nicht selbst im Original besaß, im Mittel- und Großpositivformat 9 x 13 auf Film gebannt. So befindet sich wenigstens die Gesamtdokumentation seiner Werke bis 1993 in meinem Archiv in Deutschland.

Am Goethe-Institut in Montreal und in der Stuart Hall in Quebec hatte er, in Deutschland unbemerkt, seine letzten Ausstellungen in Kanada.

In Deutschland gab es nach seinem Abflug nach Montreal noch folgende Ausstellungen:

1983   Rathaus der Stadt Zwingenberg, Gemälde Zeichnungen + Miniaturen 1942 -1983

1984   Norderstedt Altes Garstedter Rathaus, Retrospektive

1984   Galerie Getwinc Zwingenberg Gemälde, Zeichnungen und Graphik

1984   Galerie Getwinc Zwingenberg, Illustrationen der Halunkenpostille  + Miniaturen

1989   Galerie Getwinc Zwingenberg, Neue Arbeiten von Fritz Grasshoff aus Kanada

1993   Remise des Alten Amtsgerichts, Sonderausstellung zum 80. Geburtstag

2003  Galerie „Blaues Haus“ im Kunsthof Lentzke,Gemälde, Zeichnungen, Frottagen, Monotypien, Graphiken und Miniaturen dazu Moritaten und Songs von Grasshoff, interpretiert von Peter Hunziker

2003   Remise des Alten Amtsgerichts, Sonderausstellung zum 90. Geburtstag dazu Moritaten und Songs von Grasshoff, interpretiert von Peter Hunziker

2003   Schlossmuseum Quedlinburg Sonderausstellung im Rahmen der Würdigung seines Werkes + Anbringen der Gedenktafel an seinem Wohnhaus Pökerstraße 19

2008   Fontanehotel Neuruppin, Sonderausstellung zum 95. Geburtstag dazu Moritaten und Songs von Grasshoff, interpretiert von Peter Hunziker

2010   Atelier 22 in Celle, Retrospektive dazu Moritaten und Songs von Grasshoff, interpretiert von Peter Hunziker

2013 sind Sonderausstellungen zum 100. Geburtstag geplant.

Nicht nur als Maler war Fritz in Kanada tätig, ständig entwickelte er neue Fabeln oder skizzierte seine Gedanken im Gedichtsformat. So saß er, wenn er nicht im Atelier malte, in seiner großen, umfangreichen Bibliothek oder im Sommer, sein Haupt mit dem geliebten Strohhut versehen, auf der schönen, zum Fluss ausgerichteten, Terrasse, hatte sein lindgrünes Schreibmaschinenpapier vor sich und notierte seine Gedanken. Nur kurzzeitig hatte er versucht, Gedichte in englischer Sprache zu verfassen, sie erinnerten ihn wohl zu sehr an sein „Ware house life“, so kehrte er schnell wieder in seine Muttersprache zurück, einer Mischung aus dem Quedlinburger Dialekt, einem Rotwelch und der Gaunersprache, verfeinert durch die humanistische Bildung aus den gelesenen Büchern, angereichert durch die Kenntnis der griechischen und lateinischen Idiome und durchdrungen von einer großen Herzlichkeit. Nie wieder habe ich einen Menschen kenngelernt, der mehr Worte in seinem Alltagsleben und in der Literatur gebrauchte und sozusagen den Thesaurus sofort im Kopf hatte, wenn ihm ein Reim fehlte.

TGrasshoff 85_4  Fritz erwartet Frühling Kopie    TGrasshoff 84_7 Grammophone 1 Kopie

1985 war zwar in der Edition Handpresse Gunsch Berlin in einer Auflage von 300 und 15 und 10 Exemplaren eine kleine Auswahl der Grasshoff Übersetzungen aus Fredmans Episteln mit Zeichnungen von Manfred Heckmann entstanden und auf den Markt gekommen, jedoch war noch kein Verlag gefunden, der den gesamten Bellman drucken wollte. So wollte ich ihm zu seinem 90. Geburtstag eine besondere Freude bereiten und ließ seine mir überlassenen Übersetzungen von Fredmans Episteln von meiner Sekretärin in wochenlanger Arbeit setzen, die Notenblätter von Bellmann neu zeichnen und mit den singbaren deutschen Texten versehen, suchte passende Graphiken aus dem schwedischen Barock, schrieb einen Lebenslauf für Carl Michael Bellmann und lies alles  auf 180 gr. Papier mit Leinenstruktur auf Einzelblättern drucken, mit dem gebundenen Lebenslauf Bellmanns versehen und alles in Lesemappen verpacken. 100 nummerierte Exemplare sollten es werden in einer Ausgabe A und weitere 100 in einer Ausgabe B. Stolz sandte ich ihm 20 Exemplare mit herzlichen Grüßen zur Verteilung an seine Freunde und dem Hinweis, dass er jederzeit im Rahmen der geplanten Ausgabegrößen weitere Exemplare von mir kostenlos erhalten könne. Erschüttert war ich über seine Reaktion und seine Beschimpfungen, die, das ist mir bewusst, einen anderen Ursprung hatten, den aber niemand zu wissen braucht. So endete von seiner Seite die Jahrzehnte währende persönliche Freundschaft, zwar zu meinem Leidwesen, war aber nicht mehr zu ändern.

Ich jedenfalls habe weiterhin heimlich seine Bilder gekauft und im Antiquariat seine herausgegebenen Werke erworben. Mein Interesse an seiner Literatur und an seinen Bildern blieb bis heute ungebrochen.

1990 erschienen bei Hyperion in Freiburg:
Illustrierter Ganoven-Kalender [Auswahl aus Graßhoff-Büchern] und Halunkenbrevier [Auswahl aus Graßhoff-Büchern]

Am 13. Mai 1991 wurde von der „Les edition du silence“ in Zusammenarbeit mit dem Goetheinstitut Montreal in einer zweisprachige Ausgabe eine Auswahl seiner in Kanada entstandenen Fabeln unter dem Titel „Les animaux en pantalons – Tiere in Hosen“ aus einer Handpresse mit nur 150 nummerierten und vom Autor signierten Exemplaren vorgestellt.

Erst 1995 erschien dann im  Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam seine Übersetzung Bellman auf Deutsch. Fredmans Episteln.Aus dem Schwedischen des  18. Jahrhunderts singbar ins Deutsche gerückt

2003 bei Conträr Musik, Lübeck die CD Black und Pit. Hört mal her, ihr Zeitgenossen. Graßhoff zum 90.

2003 bei Heritage Fritz Graßhoff / Stiftung Deutsches Kabarettarchiv,Von der Wichtigkeit der Dinge.

2004 bei Conträr Musik, Lübeck Deutschland oder Was beißt mich da? Schobert & Black, die singenden Bärte, mit Graßhoff-Liedern. CD nach der LP von 1967 mit bebildertem Textheft.

2007 in der Éditions du Silence Montreal
Satire.Texte und Zeichnungen. Deutsch und Französisch.

Interessant sollte es aber auch sein zu erfahren, was Grasshoff anstellte, wenn er nicht dichtete, malte oder zeichnete. Ich möchte deshalb auch einiges Interessantes auch seinem Privatleben erzählen. Immer wenn „garage sales“ oder Flohmärkte angesetzt waren, zog es die gesamte Grasshofffamilie inklusive Katja und Roger zu diesen Plätzen. Man versuchte Fundstücke aus der kanadischen Vergangenheit zu finden oder auch Praktisches für den Hausrat; besonders gesucht waren gute Werkzeuge aus Europa und museale Stücke aus Kanada. Alles was zu reparieren war bekam Roger in seine geschickten Hände und ließ es, notfalls nach aufwendigen Restaurierungen, in neuem Glanz erscheinen.

TGrasshoff 85_4  Fritz Katja Kopie    Grasshoff 86_7  iRoswitha m Garten

Im hauseigenen Keller wurde Cidre angesetzt, und eines Tages überraschte mich Fritz mit der Frage, ob ich einen guten Whisky mag. Obwohl ich diese Frage bejahte, verwirrte sie mich stark, denn normalerweise brachte ich solche Getränke aus dem Duty free shop mit, weil sie in Kanada unerschwinglich hohe Preise hatten. Fritz und Roger hatten einen Händler entdeckt, der alte Whiskyfässer als Heizmaterial verkaufte, was diese aber nicht taten. Die hundert Gallonen großen Fässer wurden im Keller gelagert nachdem man drei Liter Wasser eingefüllt hatte, dann wurden sie täglich um ein Achtel gedreht, wie man es aus den Champagnerkellern kannte. Nach fünf bis sechs Wochen hatte das Wasser sich mit dem im Eichenholz gespeicherten Whiskyresten verbunden und man erhielt einen guten, wenn auch nur 18 bis 20 Prozent starken Whisky-Longdrink  Beim zweiten Ansatz sank der Prozentsatz auf acht bis zehn, beim dritten auf nur noch drei Prozent. Dann konnte man darin aber noch einen kräftigen Cidre produzieren. Leider roch der Händler eines Tages diese Geschichte und produzierte seinen Whisky dann wohl als Eigenversorger.

Von Roswitha´s Blumengarten habe ich schon berichtet, aber sie pflegte auch einen großen Gemüsegarten und vermisste den in Deutschland so beliebten und in Kanada kaum zu bekommenden Spargel. Da ich wusste, das bei der Einreise das Gepäck auf Samentüten untersucht wurde, musste ich mir einen kleinen Trick einfallen lassen. Die Samen wurden mit wasserlöslichem Kleber auf Seidenpapier geklebt und noch einmal mit Tesafilm fixiert. So erreichten diese nicht nur den kanadischen Flugplatz geräuschlos, sondern auch die kanadische Erde in Hudson, Roswitha bestätigte mir später, das nach Separation der Streifen beide Elemente zur Spargelfortpflanzung gedient haben.

Nicht alles war in Kanada besser als in Deutschland; es gab zwar keine Düsenjäger aber jeden Morgen raste pfeifend der Expresszug vorbei und weckte eventuelle Langschläfer. Die Nachbarn schnitten nicht nur mal kurz den Rasen, sondern brauchten trotz motorisierter Untersätze den halben Tag für ihre riesigen Rasenflächen. Ein neues, damals noch bei uns unbekanntes Problem kam auf die Grasshoffs zu. Als ständige Besucher erschienen auf dem Grundstück Waschbären im Verbund einer Familienstärke. Sie sind zwar putzige Tiere und es ist belustigend diese einige Minuten zu beobachten, aber wehe, man vergisst den Mülltonnendeckel mit schweren Steinen zu belasten. Eine derartige Müllsortierung findet wohl keiner mehr lustig.

Grasshoff 86_7  Familie auf Fähre   Grasshoff 86_7  Familientee

Grasshoff´sche Familienbilder aus dem Juli 1986

1995 erhielt Grasshoff noch einmal eine große Ehrung, er erhielt als Auszeichnung für sein Gesamtwerk das Bundesverdienstkreuz  der Bundesrepublik Deutschland.

Alles Wissen über gesundes Leben und gesunde Ernährung, der tägliche, von Roswitha angeordnete, Sport und die von ihr für Fritz zubereiteten Kräutertees, die Entspannungen bei interessanten Gesprächen und beim Belauschen der Drehorgel und alten Grammophone konnten jedoch nicht verhindern, das Fritz Grasshoff am 9. Februar 1997 im Alter von 83 Jahren verstarb.

Als Abschiedsgruß an all seine Freunde  schrieb er kurz vor seinem Tod noch das

Endgedicht

Eben war es doch noch hell
Tanzten wir nicht eben noch
uns erkennend unterm Fliegenfänger
ums geselschte?

Lasen wir nicht eben noch
uns die Zeit von Bart und Wimper?

Stritten wir nicht eben noch
uns um Mohn und Rüben
das Loch im Fass
den Sprung im Krug
die Borste im Brot?

Wo ist das Gespräch des Flusses
mit den lauschenden Muscheln?
Eben war doch noch Gesang und Atem
im geduldigen Gras
und das Läuten über uns
der Aeroplane.

Eben wollten wir uns noch
neue Kleider machen neue Hüte
Recht behalten hat
die Posaune in den U-Bahnschächten
und es erfüllen sich
die Gebete der Viren.

Seine Frau Roswitha lebte noch weitere 13 Jahre und verstarb im Februar 2010. Erst bei einer Ausstellung in Celle im September 2010 erfuhr ich, das es eine Schwester gab. Leider musste ich dieser die Todesnachricht überbringen, da sie sieben Monate nach dem Tod ihrer Schwester noch von keinem Menschen unterrichtet worden war. Obwohl ich Roswitha 16 Jahre lang kannte und wir unendlich viele, auch persönliche, Gespräche geführt haben, hat sie diese Schwester nie mit einem Wort erwähnt.

Peter M. Stajkoski im Jahre 2013